Die Geschichte zum Mus-Topf

„…mit müden Augen blickt Marie frierend in die Flammen der offenen Feuerstelle. Es ist schon bitter kalt in diesen ersten Tagen des Novembers 1313 in München und sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan – zu groß war der Lärm aus der nahe gelegenen Herzogsburg – offenbar stand wieder einmal ein Kriegszug an, wenn man das Geschreie und Gepoltere dort drüben richtig deutete. Ihr ist‘s egal, müde streicht sie sich das Haar aus dem zarten Gesicht und rührt mit dem Holzlöffel das Mus im Topf am Feuer. Die besten getrockneten Früchte des Sommers Himbeeren, Brombeeren und Süßkirschen hatte sie gemeinsam mit Äpfeln, Pflaumen und Zwetschgen aufgekocht und die Schlehen – gerade schmackhaft durch den ersten Reif geworden – dazugetan. Dazu ein Löffel Honig und ein Schuss von dem süßen Roten aus dem Süden, den ihre Herrschaft so unter Verschluss hielt – ein feines Frühstück für die beiden immer hungrigen Leckermäulchen, die Buben Karl und Ludwig, die oben noch selig schlummern und die sie neben der Hausarbeit auch noch zu betreuen hatte. Vogelwuide Burschen waren das- den ganzen Tag hatten die Nichts anderes im Kopf, als mit den Füßen gegen einen Lederball zu treten und sie musste hinterherlaufen! Es klopft leise am hölzernen Fensterladen - dreimal kurz hintereinander - das verabredete Zeichen! Marie springt auf, läuft zum Fenster, öffnet den Laden und blickt in die blitzblauen Augen des Girgl, des Schustersohnes von nebenan. Bald sind die beiden in ein munteres Geplaudere vertieft und träumen von einer gemeinsamen Zukunft in einem kleinen Häuschen hier in der Hinteren Schwabinger Gassn in München. Zu Weihnachten will der Girgl mit seinem Vater reden, ob er nicht doch einer Heirat mit der Marie zustimmen würde, denn die hochmütige Agnes möchte er nicht haben, auch wenn deren Vater zu den Ratsherrn der Stadt gehört, da wäre ihm die zierliche, sanfte Marie schon lieber… Ein ekliger Gestank fährt den beiden in die Nase und unterbricht ihr Geturtel – kam das von draußen oder drinnen ? Oh nein, das Obstmus war angebrannt! Marie schiebt den Topf hastig mit einer Bratschaufel aus dem Feuer und kippt eine Schüssel Wasser darüber. Als sich Dampf und Rauch verzogen haben versucht sie verzweifelt, den angebrannten Bodensatz mit einem Holzlöffel aus dem Gefäß zu lösen. Aber vergeblich, der Topf ist ruiniert, nicht mehr zu retten. Schon hört sie schwere Tritte oben auf der Holztreppe, war die Herrin etwa schon erwacht, am Ende von ihrem Geplaudere oder von dem Gestank? Wenn sie herausfände, dass Marie einen der schönen eleganten Kochtöpfe ruiniert hätte – das gäbe Ärger, am Ende Schläge. Girgl schnell! – sie reicht ihm den Topf durchs Fenster und er läuft in den Garten hinter dem Haus, beinahe wäre er über die Hühner und Schweine gestolpert! In hohem Bogen fliegt der Topf in die Latrine, als schon die Herrin in der Küchentür steht. Marie, hast du unser Frühstück noch nicht fertig? Jetzt mach zu, du faules Ding! Kare und Luggi wollen dann zuschauen, wenn die Truppen des Herzogs ausrücken, die kaiserlichen Truppen ziehen auf Gammelsdorf! Marie seufzt und holt einen anderen Topf aus dem Regal. Gut, dass das ein wohlhabender Haushalt ist und die Herrin nicht so den Überblick hat, wieviele Häfen es hier eigentlich gibt….."

Der gut erhaltene Mus-Topf aus der Latrine vom Marienhof, mit Resten von Obst-Kompott, frühes 14. Jh.